Gemeinderat: Haushaltrede 2024

Sehr geehrte Kraichtalerinnen und Kraichtaler,

geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung, geehrte Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderates,
wir beraten und verabschieden heute den Haushalt für 2024 sowie die mittelfristige Finanzplanung. Ruft man sich die Haushaltsreden 2023 in Erinnerung, erkennt man in dem aktuellen Haushalt viel Bekanntes und wenig Neues. Die politische Großwetterlage hat sich nicht gebessert. Wir sind mit Problemen konfrontiert, die weit weg von Kraichtal stattfinden aber direkte Auswirkungen für diesen Haushalt bedeuten.

Krieg in der Ukraine

Zu dem Krieg in der Ukraine ist ein weiterer im Nahen Osten hinzugekommen, insgesamt zählt die UNO aktuell über 50 kriegerische Auseinandersetzungen. Dies bedeutet für uns in Europa und in Kraichtal, dass weiter Kriegsflüchtlinge Schutz suchen werden und unsere Hilfe benötigen. Durch Abhängigkeiten sind die Energiepreise weiter auf einem hohen Niveau und belasten unsere Exportorientierte Wirtschaft.

Die negativen Folgen des Klimawandels überragen alle anderen Probleme in ihrer Intensität und Dauer, auch wenn sie von den Titelseiten vorerst verschwunden sind. Allein die Inflationsrate scheint auf ein händelbares Maß geschrumpft, muss aber weiter beobachtet werden, um rechtzeitig und zielgenau gegensteuern zu können.

Bedrohung durch rechtsradikale Gruppen

Neu hinzugekommen sind die Bedrohungen durch rechte Parteien und rechtsradikale Gruppen, die gegen unsere Demokratie und Verfassung mobil machen.

Dieser Hass und Hetze haben das Potential unsere Gesellschaft zu spalten. Wir müssen gemeinsam nicht nur für die Schwachen in unserer Gesellschaft eintreten, sondern auch die Verfassung und ihre Organe verteidigen. Wir alle dürfen nicht zulassen, dass sich BürgerInnen hier in Kraichtal überlegen, ob sie sich für den Gemeinderat aufstellen lassen oder ob ihre Sicherheit und die ihrer Familien nicht doch wichtiger sind.

Fast doppeltes Budget für Heimatpflege, Musik und Sport als der für Soziales

Der Haushalt einer Kommune besteht nicht nur aus Zahlen, sondern macht auch deutlich, wo Schwerpunkte gesetzt werden und wie man die Zukunft bestmöglich gestalten möchte.

Für das umfangreiche Zahlenwerk des Haushalts 2024 ist der Kämmerer mit seinem Team verantwortlich. Für die Aufbereitung und die transparente Darstellung des Zahlenwerks möchten wir uns bei ihm und seinem Team besonders bedanken.

Über die Umsetzung der einzelnen Haushaltsposten entscheidet der Gemeinderat. Er entscheidet, ob während des Haushaltsjahres die Mittel verwendet werden oder nicht. Sind für einzelne Maßnahmen keine Haushaltsmittel eingeplant, wird in 2024 auch keine Investition stattfinden, so z.B. für Photovoltaik auf städtischen Dächern oder Entlastungsmaßnahmen für unsere verkehrsgeplagten Stadtteile oder bezahlbarer Wohnraum. Bei der Mittelverwendung, insbesondere der Priorisierung von Pflichtaufgaben und Freiwilligkeitsleistungen, sehen wir seit Langem eine Schieflage, die sich im Haushaltsentwurf 2024 fortsetzt.

Wir geben für die Freiwilligkeitsleistungen Heimatpflege, Musik und Sport mit fast 1,5 Millionen Euro mehr aus als für Soziales mit rund 735.000, – Euro. Feuerwehr/Rettungsdienste/Katastrophenschutz erhalten rund 759.000, – Euro, für Naturschutz/Landschaftspflege/Forst und Umweltschutz bleiben rund 184.000, – Euro.

Auf dem Weg zur Konsolidierung des Haushalts unterscheiden sich unsere Lösungsansätze von den eingebrachten Vorschlägen.

In wichtigen Bereichen fehlen uns die Mittel. Die Sparmaßnahmen sind unserer Meinung nach unzureichend und nicht zielführend.

Um dem Defizit zu begegnen, schlägt die Verwaltung wieder pauschale Kürzungen vor, die rechnerisch insgesamt 1,46 Millionen Euro einsparen sollen:

  • Das Budget für die Bewirtschaftung und Unterhaltung der städtischen Immobilien werden in den meisten Fällen um 20% gekürzt.
  • Es wird ein globaler Minderaufwand veranschlagt, d.h. alle Aufwandsansätze werden pauschal um 1% gekürzt.
  • Auch die Zuschüsse an regionale Sozialhilfeeinrichtungen und kirchliche Kindergartenträger sowie der Ansatz für die Organisation und EDV werden ebenfalls gekürzt.

Pauschale Kürzungen sind der falsche Weg

Grundsätzlich halten wir pauschale Kürzungen für den falschen Weg. Zum einen wird der Status Quo festgeschrieben. Die meisten Kürzungen sind keine tatsächlichen Einsparmaßnahmen, sondern die Kosten werden nur ins nächste Haushaltsjahr verschoben. Gleich mitverschoben werden die notwendigen Entscheidungen über strukturelle Veränderungen.

Wir möchten beispielhaft an zwei zentralen Themengebieten die Risiken und Chancen für Kraichtal 2024 und mittelfristig aufzeigen:

  1. Stadtentwicklung/Innenentwicklung, weil diese beiden Handlungsfelder aufgrund ihres hohen Gebietsbezugs ein geeignetes Mittel sind, um eine Vielzahl aktuell anstehender Herausforderungen einer Stadt zu finden. Ein Gemeinde-Entwicklungs-Konzept (GEK) bezieht sich jedoch nicht nur auf rein städtebauliche Aufgaben, sondern auch auf nahezu alle Handlungsfelder der Stadt, wie Ökologie, Klima, Verkehr, Tourismus, Bildung, Kultur, Vereinswesen, Leerstandmanagement, usw.
  1. Umwelt, Klimaschutz und erneuerbare Energien, weil die Erderwärmung und der dadurch fortschreitende Klimawandel als auch die Abhängigkeiten von undemokratischen Staaten alle anderen Risiken in ihrer Intensität und Dauer überragen. Bekommen wir nicht das Artensterben und die Erderwärmung als auch unsere Abhängigkeiten eingedämmt, werden wir in Europa und in Kraichtal Klimaverhältnisse bekommen, wie sie jetzt schon auf der Südhalbkugel zu beobachten sind.
    „Die beste Ackerkrume nützt uns nichts, wenn kein Regen mehr fällt“ (Zitat eines Landwirts aus Kraichtal).

Stadtentwicklung, Innenentwicklung, Umweltschutz, Klimaschutz und erneuerbare Energien müssen in jede Beschlussvorlage Einzug finden. Die Vorlagen in Ubstadt-Weiher haben diese Information schon selbstverständlich. 

Die Verwaltung sollte mit dem neu gewählten Gemeinderat gleich zu Beginn der neuen Sitzungsperiode in Klausur gehen, um „Rote Linien“ zu erarbeiten. Es sollte von vornherein eine klare Priorisierung der Mittelverwendung zu erkennen sein und öffentlich gemacht werden, um eine möglichst große Zustimmung der Bevölkerung zu erreichen. Der neue Gemeinderat wird zukunftsbestimmende Entscheidungen treffen müssen, denken wir nur an die Windkraft, Geflüchtete, Mobilität oder die Entwicklung unserer Schullandschaft, um nur einige zu nennen.

Wir hoffen, dass die im Sachgebiet Baurecht und Planung eingerichtete Stelle „Stadtentwicklung“ mehr Erfolg hat, als die MitarbeiterInnen im März 2016. Die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßt die Einrichtung dieser wichtigen Stelle. Wir sind optimistisch, dass die Planung des Stadtentwicklungskonzept 2035 mit Unterstützung der Bürgerschaft zum Erfolg führt.

Mehr als 30 städtische Dächer eignen sich für eine gute bis grundsätzliche Umsetzung für PV-Anlagen

Das Ergebnis der PV-Potentialanalyse vom Dezember 2023, bei der insgesamt 34 städtische Dächer untersucht wurden, zeigt, dass sich 7 Gebäude sehr gut für eine unkomplizierte Umsetzung eignen, 17 Gebäude eignen sich grundsätzlich, 7 eignen sich im Zuge einer Dach-/Gebäudesanierung. Nur 3 Gebäude eignen sich nicht. Dies widerspricht den Aussagen eigener städtischer Untersuchungen bei der man von null geeigneten Dächern ausging.

Selbst wenn entsprechende Haushaltsmittel vorhanden wären, fehlte immer noch die Entscheidung des Gemeinderates, welche der Gebäude mit Solarmodulen ausgestattet werden sollen. Um dies entscheiden zu können, müsste eine bauliche Bestandsanalyse und ein Nutzungskonzept erstellt werden. Erst dann kann man abwägen, ob ein Gebäude noch selbst genutzt werden soll oder ob ein Verkauf sinnvoller wäre.

Diese grundsätzlichen Entscheidungen schiebt der Gemeinderat von Jahr zu Jahr vor sich her.

Von 50 städtischen Gebäude fallen lediglich drei durch eine moderne Heizungsanlage positiv auf. Die Mehrzweckhalle in Bahnbrücken wird mit Pellets beheizt, das Feuerwehrhaus/Vereinshaus in Neuenbürg wird mit Fernwärme/Holzhackschnitzel beliefert und die Gemeinschaftsschule in Münzesheim hat eine Gas/Holzhackschnitzel Anlage. Alle anderen Gebäude sind mit zum Teil Jahrzehnte alten Gas, Öl oder Elektroheizungen ausgestattet.

Zu den Umrüstungskosten für die alten Heizungsanlagen kommen noch Kosten für die Sanierung der alten Bausubstanz und die Gebäudehülle hinzu. Das Risiko, viel Geld für eine vielleicht entbehrliche Immobilie ausgeben zu müssen, steigt von Jahr zu Jahr.

Eine generelle Gebäudeanalyse mit Nutzungskonzept aller städtischen Immobilien ist notwendig

Deshalb fordern wir eine generelle Gebäudeanalyse mit Nutzungskonzept aller städtischen Immobilien, die als Grundlage zukünftiger Entscheidungen dient, um ein Sanierungsfahrplan aufzustellen und verteilt auf die nächsten Jahre entsprechende Haushaltsmittel zu priorisieren.

Damit sich Stadtentwicklung nicht nur auf Neubaugebiete beschränkt, hat der Gemeinderat mit den Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Aufstellungsbeschluss Schelmenäcker in Münzesheim beschlossen. Hier wurden die zum Teil 60 Jahre alten Bauvorschriften gelockert bzw. aufgehoben. Dadurch können nun die Grundstückseigentümer ihre Grundstücke besser nutzen. Dies ist ein beispielhafter Beitrag zur Innenentwicklung der auch in anderen Stadtteilen umgesetzt werden soll.

Der Grundsatz Innenentwicklung vor Außenentwicklung ist in Kraichtal noch nicht selbstverständlich. Deshalb unterstützt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Volksantrag „Ländle Leben lassen“ in BW, der eine per Gesetz drastische Verringerung der Flächenversiegelung fordert. Weitere Unterstützer sind u.a. der Landesjagdverband, der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband und der BUND-LV-Baden.

Als Teil der Stadtentwicklung ist sicher das Sanierungsgebiet in Menzingen zu sehen. Begleitet von der STEG hat die Stadt Kraichtal seit 2015 insgesamt 300.000, – Euro an Fördergelder in private und gewerbliche Maßnahmen investiert.

Gleich zu Beginn der Fördermaßnahmen haben wir vorgeschlagen, dass die Stadt selbst mit einer Gebäudesanierung und energetischen Ertüchtigung des ehemaligen Rathauses sowie Verbesserungen im öffentlichen Raum vorangeht und den Privaten Grundstücksbesitzer als Vorbild dient. Bis heute gibt es kein zukunftsfähiges Nutzungs – oder Sanierungskonzept des Gebäudes.

Bürgerverein in Oberacker macht es besser

In Oberacker hat es der neu gegründete Bürgerverein besser gemacht. Der „Förderverein zum Erhalt denkmalgeschützter Gebäude in Oberacker“ hat zur Gründungsfeier ein umfangreiches Nutzungskonzept inklusive Finanzierung und Bürgerbeteiligung für die Sanierung des alten Pfarrhauses präsentiert. Unbedingt nachahmenswert.

Der Neubau von Sozialwohnungen ist in Kraichtal vorerst gestoppt. Das Projekt „Neubau Kita und Wohnen am Gaisberg“ in Unteröwisheim wurde vom Gemeinderat mehrheitlich abgelehnt und wird nun ohne die Wohnungen umgesetzt.

Eine Wohnraumbedarfsanalyse hat festgestellt, dass in Kraichtal besonders kleinere und bezahlbare, sozialgeförderte Wohnungen fehlen. Genau diese Lücke wollten wir schließen. Durch diesen Gemeinderatsbeschluss verzichten wir auf ca. 5 Millionen Euro Wohnraumförderung und müssen die bereits geleisteten Planungskosten in Höhe von 360.000, – Euro bezahlen zusätzlich die nicht benötigten Ingenieursleistungen. Geld, das uns an anderer Stelle dringend fehlt. Es passt nicht, der Bundes- und Landesregierung vorzuwerfen, dass immer mehr Aufgaben an die Kommunen weitergeleitet werden und dann, wenn die Aufgaben großzügig unterstützt werden die Mittel nicht abruft. 

Die Studie hat auch festgestellt, dass wir in Kraichtal keinen Mangel an Wohnraum haben. Wir haben lediglich ein Verteilungsproblem. Insgesamt stehen ca. 460 Wohnungen leer (Stand 31.12.2021). Könnte man diese Wohnungen belegen würde das eine enorme Entspannung auf dem Wohnungsmarkt in Kraichtal bedeuten.

Im Bereich Klimaschutz und Energie fehlen fast komplett entsprechende Haushaltsmittel. Im Ansatz werden Förderprogramme mit insgesamt 29.000, – Euro unterstützt. Unter anderem Balkonsolar-Module, Lastenfahrräder/-Anhänger, Pflanzung von Klimabäumen oder Entsiegelung von Fläche.

Im Haushalt 2024 sehen wir einzelne Positionen denen wir aus heutiger Sicht gerne zustimmen werden, z.B.: Kommunale Wärmeplanung, Ausbau barrierefreie Bushaltestellen, Förderung der Kitas, eine Querungshilfe auf der Friedrichstraße und alle Investitionen die mit unserer Wasserversorgung und Entsorgung zu tun haben.

Die Demokratie lebt vom Mitmachen

In unserer Haushaltsrede für 2023 haben wir Bürgerinnen und Bürger aufgerufen sich einzubringen, um die vor uns stehenden großen Aufgaben gemeinsam zu meistern.                                                           

Wir freuen uns, dass sich aus unterschiedlichsten Gründen einige BürgerInnen beim bürgerschaftlichen Engagement eingebracht oder auch bei den Veranstaltungen gegen Hass und Ausländerfeindlichkeit Flagge gezeigt haben (wie am letzten Samstag auf dem Friedrichsplatz in Unteröwisheim).

Das gibt uns Hoffnung für die Zukunft. Denn Demokratie lebt vom Mitmachen.

Nach Abwägung des Für und Wider wird die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Haushaltsentwurf 2024 nicht zustimmen.

Es sind immer noch, wie in den Jahren zuvor, zu viele Mittel zum Erhalt des Status Quo eingestellt und zu wenige für zukunftsnotwendige Projekte.

Wir haben hier im Gemeinderat oft gehört: „Kein weiter So“

Kein weiter so ist jetzt.

Ich bedanke mich im Namen der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ihre Aufmerksamkeit und bei all denen, welche dabei geholfen haben, unsere Stadt ein Stück lebenswerter zu machen.

 

Kraichtal, den 20.03.2024

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Angelo Castellano, Wolfgang Bauer, Torsten Harmening, Rudi Schmiederer